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    Fremd- und Lehnwörter I: Wir Lateiner.

    Veröffentlicht am 15.03.2017

    Einleitung: Über Nutzen, Sinn und Unsinn von Fremd- und Lehnwörtern

    In jedem der folgenden vier Beiträge („Fremd- und Lehnwörter I-IV“) werden Ihnen, werte Leserinnen und Leser, eine Unmenge von kursivgedruckten Wörtern auffallen. Dies geschieht, um Ihnen die Häufigkeit der Verwendung jener Wörter zu demonstrieren, um die es mir im Folgenden geht. Wahrscheinlich gebrauchen Sie selbst diese Wörter jeden Tag – naja, vielleicht nicht jeden Tag, aber doch immerhin so oft, dass Sie nicht mehr viel darüber nachdenken müssen. Und vielleicht waren Sie ja bisher auch der Meinung, im Alltag kein Latein, Griechisch, Französisch oder Englisch zu sprechen; dieses Vorurteil werden Sie hoffentlich nach der Lektüre oder dem Download des Blogs analysiert oder sogar ad acta gelegt haben. Denn wir alle sind mehr Franzosen, Engländer, Lateiner – und ja, sogar Griechen –, als uns bewusst ist.

    Um es also mit griechischem Einschlag und einer Allegorie aus dem Dunstkreis des Fußballs zu sagent: Viele Fremd- oder Lehnwörter haben ihren Einzug in die europäische Sprachen-Endrunde geschafft und punkten im gegnerischen Strafraum, der mal englisch, mal französisch, mal deutsch und mal italienisch-lateinisch gefärbt ist. Hätten Sie übrigens gewusst, was Tackling oder Pressing bedeutet? Um das Rätsel direkt aufzulösen: Das englische Verb „to tackle“ bedeutet so viel wie „etwas bewältigen, in Angriff nehmen“, aber auch „es wagen, jemanden anzupacken“, wird aber in der Fußballsprache im Sinne von „Gerangel“ oder „rüder Einsatz“ (vergleichbar mit dem Bodycheck beim Eishockey) gebraucht. Und „to press“ bedeutet eben nicht nur „pressen, drücken, Druck ausüben“, sondern auch „unter Druck setzen“, weshalb man im Fußball davon spricht, wenn eine Mannschaft, die sich eigentlich in der Vorwärtsbewegung befindet, vom verteidigenden Gegner permanent unter Gegendruck gesetzt wird.

    Das Problem mit Fremdwörtern besteht jedoch genau darin: Richtig und sinnvoll verwendet sind sie eigentlich eher selten. Wenn nicht gerade im Zusammenhang mit einer bestimmten Sportart, einem wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder technologischen Fachgebiet (Offshore-Finanzpark oder -Windpark) oder einer internationalen Handelssprache benutzt, wirken sie oft deplatziert oder stören die Kommunikation anstatt sie zu bereichern.

    Anders verhält es indes bei den so genannten Lehnwörtern, also Begriffen, die zwar aus einer anderen Sprache stammen, sich aber schon derart eingebürgert haben, dass man ihnen ihre fremde Herkunft oft kaum noch ansieht. Hier allerdings stellt sich das Problem der Rechtschreibung in den Weg, denn die grammatikalischen, vor allem die phonetischen Lautierungsregeln sind in der Herkunftssprache oft ganz andere als in der Zielsprache, weshalb man von der Aussprache eines Worts weder wie gewohnt auf die Schreibweise noch umgekehrt vom Schriftbild auf Aussprache und Flexion (Beugung) schließen kann. Dabei ist dies alles gar nicht so schwer und mit ein wenig linguistischem (respektive etymologischen; von griechisch: etymon: das Wurzel- oder Stammwort) Aufwand bereits für Laien zu bewerkstelligen. Wie die folgenden Blogs zeigen, weisen viele Wörter Regelmäßigkeiten und Ableitungsmöglichkeiten auf, die zur gegenseitigen Erhellung der Sprachen beitragen und Sprachwissen enorm vertiefen und auf ein neues Niveau hieven können.

    Leider wird diese Methode momentan an deutschen Schulen nicht in wünschenswerter Weise praktiziert. Die meisten Schüler müssen Fremdwörter wie Vokabeln „lernen“. Sprachverwandtschaften, etymologische und phonetische Aspekte werden dabei ausgespart oder auch deshalb nicht vermittelt, weil der Englischlehrer kein Latein oder der Französischlehrer kein Englisch beherrscht – oder seine Domäne gegen andere Fremdsprachenlehrer zu verteidigen und abzugrenzen sucht. Manchmal erfahren die Schüler ein wenig über die Herkunft der Wörter, wenn in ihren Schulbüchern Vermerke wie „aus dem Griechischen“ stehen oder im Vokabelteil des Englischbuchs Verweiswörter desselben Wortstamms aus anderen Sprachen stehen. Doch welches Regelwissen man diesen Wort-Parallelen entnehmen kann, zählt nicht zum Lehrplan und oftmals auch nicht zum Fachwissen der Fremdsprachenlehrer.

    Fremd- und Lehnwörter I: Wir Lateiner.

    Beginnen wir unsere kleine europäische Sprachrundreise mit einem Ausflug ins alte Rom, genauer gesagt ins riesige römische Imperium, das seine größte Ausdehnung unter Kaiser Trajan in den Jahren 115 bis 117 n. Chr. erreichte. Bis weit hinauf ins schottische Hochland und tief ins damalige Germanien hinein reichte der Limes, den die Römer zum Schutz vor kriegerischen Vandalen, aber auch als eine durchgängige Kette von Handelsvorposten errichteten. Bedeutender und folgenreicher als die Abschottung der Römer von den Völkern jenseits des Grenzwalls jedoch sind bis heute die Einflüsse der römischen Kultur, Institutionen und geistigen Errungenschaften auf die Entwicklung Europas. Viele berufliche und soziale Stände, Wissenschaften, staatliche und politische Einrichtungen leiten ihr Selbstverständnis, ihre Namen und ihre Fachsprachen daraus ab, z. Bsp.

    • die Doktoren der Juristerei, Medizin, Theologie,
    • hohe Beamte, leitende Führungskräfte und Träger politischer Funktionen wie Direktoren, Präfekte, Administratoren, Kanzler, Präsidenten und Minister,
    • viele Wirtschaftsbereiche wie Immobilien-Handel, Industrie, Agrarwirtschaft inklusive des gesamten Personals, die Praktikanten eingeschlossen.

    Doch muss man nicht besonders gebildet oder hochgestellt sein, um in den Dunstkreis von lateinischen Herkunftswörtern zu geraten. Es reicht, durch ein Fenster zu blicken (denn das kommt von lat. fenestra: die Maueröffnung) oder eine Straße (von lat. stratum: das Pflaster) zu befahren, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie diese Wörter Einzug ins Gemeinwesen der alten Völker gehalten und ihnen die römische Zivilisation gebracht haben. Denn offenbar gab es noch keine derartigen Dinge, bevor die Römer in die Wälder Germaniens oder Galliens (franz.: fenêtre) eindrangen und diese Gebiete mit befestigten Handelswegen durchzogen und die Pfahlbauten durch gemauerte Häuser ersetzten.

    Und mit den technischen, architektonischen und logistischen Errungenschaften begann schließlich auch die römische Kultur das Land der Kelten zu überziehen und die archaischen Gebräuche und Rituale abzulösen. Das deutsche Nomensuffix

    • „-ion“ oder „-tion“

    stammt direkt aus der Verballhornung derjenigen lateinischen Worte ab, die im Nominativ Singular auf „-(i)o“ enden und in den Genitiv auf „-(i)onis“ gebeugt sind (ratio, rationis; lectio, lectionis; informatio, informationis; traditio, traditionis usw.). Sie sind im Lateinischen allesamt weiblich. Deshalb verwundert es nicht, dass auch die daraus abgeleiteten deutschen Latinismen feminin sind: die Information, die Ration, die Lektion, die Tradition. Außerdem bilden sie ihren Plural allesamt regelmäßig und immer gleich: die Informationen, die Rationen, die Traditionen usw. (Das Fiese ist, dass es auch ein genauso geschriebenes Suffix aus dem Griechischen namens „-ion“ gibt, das allerdings (auch im Deutschen!) mit kurzem „o“ gesprochen wird und ein neutrales Genus hat (das Radion, das , das Stadion usw.).

    Zahlreiche Lehnwörter aus dem Lateinischen tragen auch noch Merkmale bei sich, die die ehemalige Verwendung des Ursprungswortes als Partizip oder Infinitiv anzeigen – und diese Bedeutungsrichtungen überraschenderweise mitgenommen haben. So ist beispielsweise ein Doktorand, der sich in seinem offiziellen Briefkopf mit „-t“ am Ende schreibt, wahrscheinlich ein Fall für den Plagiatsjäger. Denn offensichtlich ist er bezüglich der sprachlichen Herkunft seines angestrebten Titels entweder nicht im Bilde oder in hoffnungsloser akademischer Ferne. Ein „Doktorand“ nämlich (von lat. docere: (be-)lehren, unterrichten, unterweisen; Dozent, dozieren) ist – wie alles, was das lateinische Morphem

    • „-nd-“ des Gerundiums oder Gerundivums in sich trägt –

    gerade dabei, etwas zu tun oder mit sich geschehen zu lassen (Referendum, Legende). Offensichtlich hat unser Doktor in spe übersehen, dass es auch das lateinische Morphem

    • „-ns-“ respektive „-nt-“

    gibt, das das Partizip Präsens Aktiv (PPA) markiert. Es findet sich bis heute in deutschen Wörtern, die auf „-enz“, „-anz“ oder „-ienz“ enden und die die Gleichzeitigkeit oder das Zusammen-Auftreten von Handlungen hervorheben  (Referenz, Akzeptanz, Audienz usw.).

    Mit ein wenig Phantasie ergeben sich andere, höchst interessante Parallelen: So etwa zur deutschen Verbendung „-ieren“, die oft bei fachsprachlichen Wortschöpfungen verwendet wird (referieren, drangsalieren, respektieren, experimentieren, kommunizieren usw.). Hier ist an bestimmte lateinische Komposita zu denken, die durch Anhängen des Verbs

    • „ire“ gebildet werden – was im Lateinischen „gehen, einhergehen, vonstattengehen“ bedeutet und sich in Stammwörtern wie „abire“, „exire“, „subire“ oder „transire“ wiederfindet.

    Auch hier haben wir es mit einer Einschleifung ins Deutsche zu tun, denn die Verballhornung zweier verschiedener lateinischer Wörter zu einem latinisierten Wortmix dient offenbar nicht der Übertragung eines bestimmten Sinns aus der Herkunftssprache, sondern lediglich der Schaffung einer neuen Sprachmöglichkeit in der Zielsprache. In diesem Fall soll der Verlauf der Handlung, ihr Vonstattengehen betont werden; also bspw. die Aufrechterhaltung des Respekts (Respekt-ieren), die Fortführung des Experiments (Experiment-ieren) usw.

    Oder wir betrachten uns die seltsame Adjektivendungen

    • „-iv“ (informativ, kommunikativ, intensiv) ) oder
    • „-ant“ bzw. „-ent“ (arrogant, intelligent) oder
    • immer noch vorhandene, hinüber gerettete Nomenendungen wie „-(n)tur“ (Rezeptur, Klaviatur, Agentur) oder
    • „-(i)um“ (Refugium, Referendum) oder
    • das verschwundene wie „-(t)um“ (Effekt, von lat. „effectum“; Akt, von lat. actum usw.)

    und stellen verblüfft fest, dass vieles von dem, was wir bisher für gehobenes Altdeutsch gehalten haben und als solches inbrünstig in der Sache bejahen (Eigentum, Referat, Abitur, Integration usw.) manchmal sogar nicht einmal halb germanisch, sondern römisch-lateinisch, griechisch oder beides in einem ist.

    So übrigens auch unsere gesamte Literatur – das heißt nämlich nicht, wie wir mit unseren Schülern aus dem ersten Lernjahr in Hinblick auf das 3. Person Präsens Passiv denken könnten: „er, sie, es wird gelesen“, denn „lesen“ heißt auf Lateinisch leider „legere“ (Lektion, Lektor, Lektüre), und nicht etwa „literare“ oder so ähnlich. Vielmehr handelt es sich um eine grammatische Unmöglichkeit, denn hier ist – vielleicht von irgendeinem betrunkenen mittelalterlichen Mönch in einem abgeschiedenen Bergkloster – aus verschiedenen in Frage kommenden Nomen ein und desselben Wortstamms (lat. littera: der Buchstabe, das Geschriebene; litterator: der Sprachgelehrte; litteratura: Schrift, Alphabet, Sprachunterricht) nicht nur ein ganzer Buchstabe getilgt, sondern zudem auch noch eine Infinitiv-Futur-Endung hinzugedichtet worden. Dies allerdings hat unser Mönch nicht ohne ein gewisses sprachliches Talent zuwege gebracht, bedenkt man nämlich, dass „Literatur“ tatsächlich etwas ist, was zum Lesen prädestiniert ist und seine Bestimmung nicht im Geschriebensein, sondern im Gelesenwerden findet.

    Wie all diese Wortbeispiele zeigen, lautet die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus dem ganzen Themenumfeld: Nicht nur große Teile unserer Sprache, auch unser logisches Denken ist durch und durch lateinisch geprägt, wie die abschließenden Wörter „abstrakt“, „Individuum“ und „absolut“ in ihren etymologischen Herleitungen zeigen sollen. Denn abstrakt (von lat.: abs-trahere (abstraho, abstraxi, abstractum): wegziehen, -reißen) ist etwas nicht dann, wenn es (im vulgären Verständnis des Wortes) irgendwie abgehoben oder unverständlich wirkt, sondern wenn es im Gegenteil von einer anderen Sache, an deren Bedeutung es noch „klebt“, zunächst „abs-trahiert“ werden muss, um überhaupt verständlich zu werden. Auch ist ein Individuum ist nicht von vorneherein und an sich – wie es der Duden formuliert – ein „Einzelwesen“, sondern (von lat. dividere: teilen, trennen, scheiden, zerlegen) etwas Un-teilbares (in-dividuus), also ein Wesen, das nicht vereinzelt, sondern mit sich selbst eins ist. Schließlich ein absoluter Gedankengang: Dieses Wort (von lat. ab-solvere: los-, ablösen, befreien, vollenden) müsste Ihnen jetzt wegen seines mittlerweile bekannten Präfix „ab-“ seine Bedeutung bereits preisgegeben haben, meint es doch nichts Höheres, gar religiös Jenseitiges, sondern schlicht, dass sich eine Bedeutung von einer anderen abgelöst hat. Kapiert (lat. capere: (er)fassen, fangen)?

    Von Frederik Schlenk, Nachhilfe in Limburg