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    Der Schüler und „seine“ Schulnoten

    Veröffentlicht am 20.07.2015

    von Frederik Schlenk, Konrektor für Idstein-Limburg und Koblenz

    In der aktuell geltenden Fassung der „Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses“ (VOGSV) des Hessischen Schulgesetzes steht unter § 26, dass sich „Leistungsfeststellung und -bewertung auf die gesamte Lernentwicklung der Schülerin oder des Schülers im Beurteilungszeitraum [beziehen] und sowohl die fachlichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Leistungsbereitschaft, als auch Aussagen über das Verhalten der Schülerin oder des Schülers [umfassen], wie es sich im Schulleben darstellt.“

    Im Anschluss findet sich der folgende, bemerkenswerte Hinweis: „Hierbei ist zu beachten, dass Leistungsbewertung ein pädagogischer Prozess ist, der im Dienste der individuellen Leistungserziehung steht und der sich nicht nur auf das Ergebnis punktueller Leistungsfeststellungen, sondern auf den gesamten Verlauf der Lernentwicklung der Schülerin oder des Schülers bezieht. Der Verlauf der Lernentwicklung ist daher in die abschließende Leistungsbewertung einzubringen und soll der Schülerin oder dem Schüler eine ermutigende Perspektive für die weitere Entwicklung eröffnen.“

    Sagen wir es klar und deutlich: Was hier eloquent nachgeschoben wird und deshalb wie selbstverständlich wirkt, ist in der Schulpraxis schlichtweg eine euphemistische Illusion. Gerade die intelligenteren Schüler – „die mit den guten Noten“ – drücken es oft hinter vorgehaltener Hand aus, dass sie sich durch vorteilhafte Leistungsbeurteilung eigentlich selten ermutigt, sondern eher gebrandmarkt fühlen. Sie ahnen: Ihre gute Note kommt nur deshalb zustande, weil ein anderer Schüler schlechter benotet wurde. Und sie erkennen, dass, egal wie strebsam, folgsam, kenntnisreich sie sind oder wie wohlfeil sie sich auch verhalten, der Maßstab die Oberhand behalten hat; er ist es, der gewaltet hat, nicht die eigene, individuelle Entwicklung.

    Die Notenvergabe ist in der Theorie widersprüchlich…

    Der Widerspruch ist offensichtlich und unauflösbar: Einerseits sollen Noten anspornen und das Beste im Schüler entfalten helfen. Sie geraten sogar in den Rang eines pädagogischen Instruments, indem sie in der „Leistungserziehung“ des einzelnen Schülers angreifen und diese befördern sollen. Andererseits jedoch lagern sie das beurteilte Element aus dem autonomen Bezugsrahmen aus und bauen es in einen vergleichenden, rein äußerlichen, durch arithmetische Berechnung gewonnenen Kontext ein: Aus einem „So-gut-wie-möglich“ wird automatisch ein „Besser-/Schlechter-als“. Die eigene Eins ist eben „viel besser“ als die Fünf des Sitznachbarn, und Entwicklung besteht, zumindest für diesen, nur noch aus dem bevorstehenden Weg durch die Zahlwerte-Instanz, während der Einser-Schüler paradoxerweise jeglicher weiter gehenden Ermutigung zu entsagen hat. Jeder Schüler, der gute wie der schlechte, kann diesem von oben auferlegten Prinzip nicht unbeschadet entkommen. Beweist er gerade durch gute Zensuren, dass er an seiner „Lernentwicklung“ beteiligt ist und sie ernst nimmt, wird er im nächsten Moment taxiert und durch Notenspiegel und die Tränen von Klassenkameraden in die harte Realität zurückversetzt: Es ist nämlich dasselbe Prinzip, das den einen nur loben kann, wenn es den anderen tadelt und umgekehrt. Das eine ist nicht ohne das andere; denn wenn alle Schüler nur Einsen oder nur Sechsen schrieben, wo bliebe dann der viel zitierte Beurteilungsrahmen?

    Ein zweiter, nicht weniger bedrückender Widerspruch liegt in der Tatsache, dass neben den Schulnoten auch „Kopfnoten“, die ebenfalls in die Zeugnisnoten einfließen, verhängt werden. Kopfnoten werden in Lehrerkonferenzen in Absprache des Klassenlehrers mit den jeweiligen Fachlehrern festgestellt. Sie dienen ausdrücklich (oder muss man sagen: angeblich?) nicht der Leistungsbeurteilung, sondern ausschließlich der des Sozial- und Mitarbeitsverhaltens des Schülers. Die Frage ist natürlich, wie das eine vom anderen zu trennen ist, beziehungsweise ob das überhaupt möglich ist – und wann und wie das Prinzip faktisch greift. Denn wenn ein Lehrer – vorausgesetzt, er ist ein vorbildlicher Beamter und hält sich getreu ans zitierte Gesetz – das Verhalten des guten Schülers bereits in der Notenvergabe berücksichtigt hat, welchen Sinn macht dann noch die Feststellung einer Kopfnote? Es liegt auf der Hand, dass Kopfnoten nur diejenigen Schüler betreffen können, deren „Leistungserziehung“ versagt hat, deren soziales und im Unterricht engagiertes Verhalten also nach der Logik der Unterscheidung von Kopf- und Schulnote unabhängig von der Leistungserbringung gesehen werden muss.

    …und in der Praxis ungerecht.

    Ganz abgesehen von der fast unmenschlich scheinenden Zumutung, die jeder Lehrer überhaupt zu ertragen hat, der eine kreative, selbstbewusste und von wirklicher Entwicklung zeugende Schülerhandlung in eine durch Noten vorgegebene Leistungslogik zu pressen hat, uns begegnen weitere Widersprüche. Wenden wir uns für einen Augenblick dem Begriff selbst zu. Als physikalische Größe bedeutet „Leistung“ entweder die maximal mögliche oder die tatsächliche Umsetzung von Energie in einer bestimmten Zeitspanne. Völlig unklar ist hingegen, welche der beiden Arten im pädagogischen Begriff von „Leistung“ gemeint ist bzw. sinnvoll in diesem Feld zur Anwendung kommen könnte.

    Erbringt ein Schüler diejenige Leistung, die ihm unter den gegebenen Umständen allenfalls erreichbar ist (also definitiv seine eigene „Nennleistung“), muss diese schon aus logischen Gründen schlecht benotet werden, wie es übrigens auch bereits in den Notennamen „Mangelhaft“ oder „Ungenügend“ mitschwingt. Ausschlaggebend ist hier der Leistungsbegriff des Schulsystems, der eben eine andere Nennleistung als die des Schülers zu Grunde legt und diesen Unterschied mit derselben, immanenten Logik auch explizit machen muss, um Nennleistungen überhaupt in Betracht ziehen zu können. Als Ergebnis halten wir fest, dass schlechte Noten eigentlich nur auf einen uneinheitlichen Leistungsbegriff deuten. (Dieser geht dann gemeinhin ausschließlich auf Rechnung des Schülers.)

    Bleibt nur noch die zweite Art der energetischen Umsetzung, um überhaupt noch so etwas wie einen schlüssigen, übergreifenden und gerechten Leistungsbegriff zu gewinnen – die tatsächliche Leistung, die sich an Leistungsvorgaben orientiert und mit der eigentlich nur der Abstand zu dieser Vorgabe „gemessen“ wird. (Tatsächlich suggerieren Lehrpläne, Konferenzen und die scheinbare „Objektivität“ des Beurteilungssystems, dass es diese Vorgabe gibt und vor allem, dass sie für jeden Schüler erreichbar ist.) Hier allerdings verliert nun das Fass seinen Boden, denn Vorgaben (Aufgabenstellungen, Klassenziele, die Umsetzungen von Lehrplänen usw.) müssten an sich und in jedem einzelnen Fall (in jeder Klasse, in Hinsicht auf die Unterrichtsqualität eines jeden Lehrers, in jeder Schule usw.) bewertet werden, um aus ihnen die tatsächlichen Maße und Umfänge der Vorgabenerfüllungen und –nichterfüllungen durch jeweils einen einzelnen Schüler ableiten zu können. Davon aber sind das derzeitige Schulsystem und übrigens auch die derzeitige Schulpädagogik weit entfernt. Faktisch sieht es so aus, dass nur „gute“ Schüler“ – also solche, die sich bereits den bestehenden Vorgaben angepasst haben und sie erwiesenermaßen umzusetzen bereit sind – in den Genuss der Bewertung ihrer tatsächlichen Leistung kommen.

    Die anderen Schüler, neuerdings auch jene, die zur Inklusion anstehen, geraten dagegen auf die widerspruchbehaftete Seite des Schulnotensystems; das heißt sie werden genau aufgrund der Eigenschaften, die ihre Nennleistung definieren, von ihren tatsächlichen Leistungen wegdefiniert und von ihrer Entwicklung abstrahiert – ein Schicksal, dem ein guter Schüler meist nur durch Zufall, und eben nicht – wie es die wohlklingende Gesetzesvorgabe vorsieht – durch eigene Leistung entgeht.

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