Verschachteltes Lernen versus Lernen im Block – Alternative neue Strategien in der Lernpsychologie
Veröffentlicht am 01.03.2025
„Wir sehen oft die Dinge mit begrenztem Tunnelblick, die Einschränkung menschlichen Denkens und Wahrnehmens. Dabei haben wir die Fähigkeit verloren, Perspektiven zu wechseln und breit gefächerte Alternativen zu entdecken. – Offen bleiben. Neugierig sein.“
(Joachim Nusch – Wissenschaftler, Philosoph und Mentaltrainer)
Die oben zitierte Lebensweisheit besitzt Gültigkeit in Hinblick auf die verschiedensten Bereiche und es lassen sich zahlreiche Beispiele dafür finden, dass sie sich immer wieder aufs Neue bestätigt.
Was die Thematik von Unterricht und Lernen angeht, gelten seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten die immer gleichen Rituale und Dogmen der „Paukschule“. Diese könnte man etwa mit der verbreiteten Floskel „Üben bis zum Umfallen“ umschreiben. Wenn Schüler:Innen sich ein neues Thema – egal in welchem Fach – erarbeiten sollen, dann setzt man seit Generationen darauf, dass die permanente, sich wiederholende Einübung des aktuellen Lernstoffs allmählich zu einem Anstieg der Erfolgskurve des Lernens führen wird. Solange, bis das nächste Unterrichtsthema an der Reihe ist. Schließlich werden meist mehrere zusammenhängende Lerntopics in einem „Paket“ gebündelt noch einmal wiederholt, bevor die Schüler:Innen ihre neu erworbenen Fähigkeiten in einer Prüfung nachweisen müssen.
Natürlich gehört regelmäßiges Üben zu den Grundlagen des Lernerfolgs. Und die wiederholte Auseinandersetzung mit demselben Wissen führt erwiesenermaßen dazu, dass das menschliche Gehirn solche Informationen als offenbar wichtig bewertet und sie daher in das Langzeitgedächtnis „verschiebt“.
Es stellt sich nur die Frage, welche Anordnung der Themen und Skills innerhalb eines Lernzyklus die sinnvollste ist. Neuere Erkenntnisse der lernpsychologischen Forschung belegen, dass durchaus effizientere Alternativen zum traditionellen, monotonen Abspulen des ewig gleichen Musters während eines Lernprozesses existieren.
So entwickelten Wissenschaftler eine neue Lernstrategie, die unter dem Namen „Verschachteltes Üben“, auf Englisch „interleaved practice“, bekannt geworden ist.
Dieser Artikel basiert dabei im Wesentlichen auf den Ergebnissen einer Studie der American Psychological Association (APA), die im Jahr 2020 im Journal of Educational Psychology veröffentlicht wurde 1. Die Studie „A Randomized Controlled Trial of Interleaved Mathematics Practice“ von Rohrer, Dedrick, Hartwig und Cheung, untersucht die Wirksamkeit von verschachteltem Lernen (interleaved practice) im Mathematikunterricht. Ziel war es, zu testen, ob diese Methode im Vergleich zum konventionellen blockweisen Üben (blocked practice) langfristig bessere Lernergebnisse erzielt. Die Studie wurde in einem realistischen schulischen Umfeld mit einer großen Stichprobe durchgeführt und ist eine der umfangreichsten Untersuchungen zu diesem Thema.
Organisation der Studie: 54 Mathematikklassen der Jahrgangsstufe 7 absolvierten über einen Zeitraum von 4 Monaten regelmäßig entweder verschachtelte oder geblockte Aufgaben, und anschließend erledigten beide Gruppen eine verschachtelte Wiederholungsaufgabe. Einen Monat später nahmen alle Schüler an einem unangekündigten Test teil.
Wodurch unterscheidet sich „verschachteltes“ Üben von konventionellem Üben?
Konventionelles Üben, oft als „geblocktes“ Üben bezeichnet, folgt einem vorhersehbaren Muster: Ein Thema wird isoliert betrachtet, alle dazugehörigen Aufgaben werden nacheinander bearbeitet. Auch wenn „Üben im Block“ eine gewisse Variabilität nicht völlig ausschließt, so beziehen sich doch alle Aufgaben und Problemstellungen innerhalb einer Übungsphase auf die gleiche Fähigkeit oder das gleiche Konzept. Und erst dann wird zum nächsten Thema übergegangen. Dieses Verfahren sorgt für kurzfristige Lernerfolge, weil es eine schnelle Wiederholung und Vertiefung ermöglicht.
Ablaufschema des Übens im Block: AAAA, BBBB, CCCC, DDDD
Beispiel aus dem Fach Mathematik: In einer Lektion folgen auf ein Neigungsproblem mehrere weitere Neigungsprobleme.
Verschachteltes Üben hingegen mischt verschiedene Themen oder Aufgabentypen innerhalb einer Lerneinheit. Innerhalb dieser sind sie so angeordnet, dass zwei aufeinanderfolgende Problemstellungen niemals die gleiche Strategie erfordern. Diese Abfolge stellt den Lernenden vor besondere Herausforderungen.
Ablaufschema des Verschachtelten Übens: ACDB, BDAC, DACB, CDBA
Beispiel: In einer Lektion folgt auf ein Neigungsproblem eine Aufgabe zur Volumenberechnung, dann eine weitere zur anteiligen Berechnung eines Kreisflächeninhalts u.s.w.
Möglichkeiten und Grenzen von verschachteltem Üben
Möglichkeiten:
- Förderung strategischen Denkens: Da verschiedene Themen gemischt werden, müssen Schüler die richtige Lösungsstrategie identifizieren, was über reines Auswendiglernen hinausgeht.
- Bessere Übertragbarkeit von Wissen und Methoden: Lernende entwickeln ein tieferes Verständnis, das auch auf neue Probleme angewendet werden kann.
- Langfristige Verbesserung der Behaltensleistung: Ein großer Vorteil von verschachteltem Üben ist das sogenannte „Retrieval Practice“: Da die Aufgaben nicht unmittelbar aufeinander aufbauen, müssen Lernende sich aktiv an zuvor Gelerntes erinnern. Dies verstärkt die Verankerung der Informationen im Langzeitgedächtnis.
- Spacing: Die Methode sorgt für eine gleichmäßigere Verteilung des Lernstoffs über einen längeren Zeitraum, wodurch „Bulimie-Lernen“ vermieden wird.
→ Insgesamt mehr Lernerfolg: Studien zeigen, dass verschachteltes Üben zu besseren Ergebnissen in späteren Tests führt. So übertraf in der oben zitierten APA-Studie in Hinblick auf das Ergebnis des Abschlusstests die Lerngruppe „verschachteltes Üben“ deutlich die Kontrollgruppe „konventionelles Lernen im Block“ (durchschn. 61% gegenüber 38% der max. erreichbaren Punktzahl).
Grenzen:
- Höherer initialer Aufwand: Da nicht sofort eine Routine für eine spezifische Aufgabenart entsteht, kann das Lernen anfangs langsamer erscheinen.
- Erhöhter kognitiver Aufwand: Gerade zu Beginn empfinden Lernende die Methode oft als schwieriger, da sie stärker nachdenken und ihr Wissen aktiv abrufen müssen.
- Erfordert gezielte Anwendung: Verschachteltes Üben funktioniert nicht für alle Themen gleich gut. Besonders sinnvoll ist es bei Fächern wie Mathematik oder Naturwissenschaften, wo verschiedene Konzepte kombiniert werden müssen.
Für wen eignet sich die Interleaving-Lernmethode?
Laut der APA-Studie eignet sich verschachteltes Üben für eine breite Zielgruppe. Besonders profitieren jedoch:
- Schüler mit mittlerem bis hohem Leistungsniveau: Studien zeigen, dass Lernende, die bereits ein Grundverständnis für ein Thema haben, durch interleaved practice besonders profitieren.
- Mathematik- und Naturwissenschaftslernende: Diese sog. MINT-Fächer enthalten viele verschiedene Konzepte, deren Kombination trainiert werden muss.
- Langfristig orientierte Lernende: Personen, die nicht nur kurzfristig eine Prüfung bestehen, sondern das Wissen langfristig behalten möchten, profitieren stark.
Interessanterweise zeigte die Studie, dass Lehrkräfte zunächst skeptisch gegenüber verschachteltem Üben waren. Erst nach längerer Anwendung berichteten sie von positiven Effekten, sowohl für leistungsstarke als auch für leistungsschwächere Schüler.
Ergänzung von konventionellen und verschachtelten Lernmethoden
Die ideale Lernstrategie besteht nicht darin, sich ausschließlich für eine der beiden Methoden zu entscheiden. Vielmehr zeigt die Forschung, dass eine Kombination aus beiden Ansätzen den größten Lernerfolg bringt.
- Einstieg mit konventionellem Üben: Wenn neue Konzepte eingeführt werden, ist es hilfreich, sie zunächst geblockt zu üben, um ein grundlegendes Verständnis zu entwickeln.
- Übergang zu verschachteltem Üben: Sobald ein Thema vertraut ist, sollte das Lernen in eine interleavte Struktur überführt werden, um das Abrufen und Anwenden zu trainieren.
- Feedback und Anpassung: Da verschachteltes Üben anspruchsvoller ist, ist es wichtig, regelmäßige Rückmeldungen und Korrekturen einzubauen.
Insgesamt entsteht aus der Kombination eine ausgewogene Lernstrategie, die sowohl kurzfristige Fortschritte als auch langfristiges Behalten unterstützt.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich die Interleaved-Lernintervention als eine vielversprechende Technik erwiesen hat, um langfristiges Lernen und strategisches Denken zu fördern.
Daraus ergibt sich: Ob in Schulunterricht, Nachhilfe oder sonstigen Lernumgebungen kann man nur dazu ermutigen, diese Lernstrategie, in geeigneter Weise eingesetzt, einfach einmal auszuprobieren!
Verwendete Literatur:
https://deutsches-schulportal.de/bildungsforschung/warum-verschachteltes-ueben-so-nachhaltig-ist/
Brand, Alexander / Deutsches Schulportal der Robert Bosch Stiftung – Forschung kompakt: Warum „verschachteltes“ Üben so nachhaltig ist.
https://www.mariabusque.net/blog/effektiv-ueben
Busqué, Maria: Effektives Üben: Interleaved practice und die Rolle des Gehirns | Blog
https://lerne-zu-lernen.de/interleaving-methode/
Lerne zu Lernen: Interleaving Methode – Schneller Neues lernen
Rohrer, D., Dedrick, R. F., Hartwig, M. K., & Cheung, C.-N. (2020). A randomized controlled trial of interleaved mathematics practice. Journal of Educational Psychology, 112(1), 40–52. https://doi.org/10.1037/edu0000367
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Sobing, Andreas: Interleaving: Der Turbo für dein Lernen | © 2025 Blog it Marketing andreassobing.de