Grundschüler lesen und rechnen schlechter – Ergebnis der PISA-Studie
Veröffentlicht am 25.11.2017
Mit dieser oder ähnlichen Überschriften wurden vor einigen Wochen Eltern aufgeschreckt
…oder etwa nicht?
Seit im Jahre 2001 der „PISA-Schock“ Politiker und Eltern gleichermaßen aufrüttelte, hatten sich im internationalen Vergleich die Schüler an den Schulen in Deutschland langsam aber stetig verbessert. Eine „wir sind ja auf dem richtigen Weg“ – Mentalität ließ die Aufregung abklingen und in den Medien war das Thema auch nicht mehr so präsent.
Nun scheint sich der Trend umgedreht zu haben. In diesem Jahr waren die durchschnittlichen Leistungen zum ersten Mal wieder schlechter.
Das IQB – Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen – an der Humboldt Universität in Berlin veröffentlichte im Oktober 2017 den Bericht über den Bildungstrend. Darin können aufmerksame Leser deutliche Alarmsignale hören. Im Bundesdurchschnitt konnten die getesteten Viertklässler schlechter lesen, schlechter zuhören und rechnen als Gleichaltrige fünf Jahre zuvor. Am deutlichsten zeigte sich der Unterschied in der Kompetenz bei der Verschlechterung der Rechtschreibung.
Hier befinden sich die heutigen Schüler um vierundzwanzig sogenannte Leistungspunkte hinter der Leistung von vor fünf Jahren. Das entspricht in etwa dem, was Schüler in vier Grundschulmonaten lernen. Die IQB Forscher kommentieren das nüchtern mit einer“ ungünstigen Entwicklung“.
Auf einen Aspekt dieser Entwicklung stürzten sich Kommentatoren, Politiker und viele der zum Teil selbsternannten Experten:
Den Migrationshintergrund
Die Zahlen deuten schon in diese Richtung. Etwa 34 Prozent der deutschen Grundschüler haben einen Migrationshintergrund. Das sind neun Prozentpunkte mehr als noch vor fünf Jahren. In einigen Großstädten stellen Kinder, bei denen wenigstens einer von beiden Elternteilen im Ausland geboren ist, bereits die Mehrheit. Jedoch auch in den sogenannten Flächenländern, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, sind es bereits 45 Prozent und diese Zahl wird aller Voraussicht nach weiter steigen.
Allerdings gilt es hier, Vorsicht walten zu lassen. Denn unter den Begriff „Migrationshintergrund“ fällt sowohl ein Kind von beispielsweise schweizerischen Eltern, die wohl der deutschen Sprache mächtig sind, wie auch das Kind syrischer Geflüchteter, die kein Wort Deutsch sprechen.
Für viele Schüler aus Flüchtlingsfamilien, die möglicherweise kriegstraumatisiert in Flüchtlingslagern aufgewachsen sind, stellt dies eine sehr hohe Hürde dar und für die auf diese Situation nur – wenn überhaupt – sehr unzureichend vorbereiteten Lehrer an den Schulen eine kaum zu bewältigende Herausforderung.
Ich möchte an dieser Stelle auf zwei weitere, wie ich meine, „hausgemachte“ Aspekte der o.g. negativen Entwicklung hinweisen.
Zum Ersten auf die „Lernmethode“.
Schreiben nach Gehör oder wie es unter Bildungsfachleuten auch heißt – Lesen durch Schreiben!
Dieser Ansatz wurde in den 70er Jahren von dem inzwischen verstorbenen Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen entwickelt.
(Inwieweit er sich auf “Erkenntnisse“ aus den 20er Jahren stützte, als ein Mann aus Arendsee in der Altmark einiges Aufsehen erregte, der spöttisch „Kohlrabi-Apostel“ genannt wurde, ist nicht bekannt. Dieser Gustav Nagel hatte sogar eine eigene Partei. Die „deutsche kristliche folkspartei“, zu deren grundlegender Forderung eine Rechtschreibreform „schreibe wi du schprichst“ gehörte.)
Bei dem „Schreiben wie Hören“-Programm sollen die Schüler in den ersten anderthalb Schuljahren die Worte so schreiben, wie sie diese hören, ohne dass Eltern oder Lehrkräfte korrigierend eingreifen. Erst danach wird den Kindern die Rechtschreibung zu vermitteln versucht. Dies dient angeblich der freien Entfaltung der Kinder, wie die Befürworter propagieren.
So schreiben dann zum Beispiel die Schulkinder aus Köln das Wort „gehen“ mit „j“, weil „mer jonn opp de Dom“, so hört man es ja!!
Oder ein Beispiel aus den Schulen: „ Di Kinda gehn in den Tso“. Auch an dem Wort „Fuchs“ wird sehr schnell deutlich, dass dies nicht so sonderlich gut funktionieren kann: Wie jetzt?: „Fux“, „Fugs“, „Fuks“ – oder wie?
Lehrkräfte der weiterführenden Schulen müssen oft das Versäumte aus der Grundschulzeit in „Crashkursen“ versuchen aufzufangen. Aber was man als Kind in dieser Zeit über eineinhalb Jahre „eingeübt“ hat, lässt sich so schnell nicht wieder verändern.
Eine aktuelle Studie des Heidelberger Professors Reinold Funke vom „Institut für deutsche Sprache und Literatur“ vergleicht Ergebnisse aus 16 Studien mit über 800 beteiligten Klassen.
Daraus ergibt sich ein klares Resultat: „Im Lesen waren die untersuchten ‚Lesen durch Schreiben‘-Klassen in Klassenstufe Eins den untersuchten ‚Fibel-Klassen‘ signifikant unterlegen. Signifikant heißt, dass es unwahrscheinlich ist, dass dieses Ergebnis Zufall ist.“
Vergleicht man nun noch den Anstieg der Zahl der Schüler, bei denen Legasthenie diagnostiziert wurde, über den Zeitraum seit der Einführung dieser Methode, fällt schon eine hohe Korrelation auf.
Es gibt auch eine klare, in den Kommentaren völlig vernachlässigte Beeinflussung der Schüler:
Die starke elektronische Mediennutzung
Einige Zahlen auf Deutschland bezogen, die dies beleuchten (Stand Oktober 2017, Quellen: Statista; destatis; Science-Magazine), im Durchschnitt:
Zeit, die Eltern am Tag mit ihren Kindern sprechen
– 17 Minuten
Zeit, die Jugendliche am Tag mit elektronischen Medien verbringen
– 390 Minuten
Wochenzeit in der Schule
– 1800 Minuten
Medienwochenzeit der Kids
– 2730 Minuten
Frage: Wer „erzieht“ unsere Kinder? Antwort: Siehe oben!
Die häufig genutzten „sozialen Medien“ führen zu einer signifikanten Erhöhung der Unzufriedenheit, der Vereinsamung und zum Anstiegt von Neidgefühlen (Studie Utah Valley Universität 2012, University of Pittsburgh 2014; TU Darmstadt 2013).
90 Prozent der 16 bis 24-Jährigen nutzen diese Medien.
Wer sich nun noch die „Rechtschreibung“ in den Foren des Internets oder bei den SMS anschaut, wird viele Hände über mehreren Köpfen zusammenschlagen.
Zu guter (?) Letzt noch eine tabellarische Zusammenfassung von Studien zur Mediennutzung beim Lernen in Schulen (Quelle: Anhörung im Hessischen Landtag am 14.10.2016: Digitalisierung und schulische Bildung). Die Ergebnisse sind mehrheitlich negativ.
Wie man trotzdem die Digitalisierung des Unterrichts als Wundermittel propagieren kann, ist nicht nachvollziehbarber.
Studie | Land | Probanden | Ergebnis der Nutzung |
---|---|---|---|
Studie: One Laptop per Child; Warschauer & Ames 2010 | Peru (500.000); Uruguay (500.000); Argentinien (60.000); Ruanda (100.000) | 500.000 Grundschüler | Kein Unterschied im Lernen; negativere Einstellung gegenüber Schule & Hausaufgaben; viele Laptops kaputt; nur noch 20% Nutzung nach 2 Jahren |
Warschauer et al. 2012 | USA (Birmingham, Alabama) | 15.000 Schüler der Klassen 4-5 | Studie wurde abgebrochen, da Schüler mit Laptop schlechtere Leistungen zeigten; nur 20% der Schüler nutzten den Computer; nach 19 Monaten waren mehr als 50% der Computer kaputt |
Vigdor et al. 2014 | USA (North Carolina) | > eine halbe Million Schüler der Klassen 5 bis 8 | Computer zuhause & Anschluss ans Internet vermindert die Schulleistungen; Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich |
Malamud & Pop-Eleches 2010 | Rumänien | 35.000 Gutscheine zum Kauf eines Laptops an sozial schwache Familien mit Schulkindern | Leistungen in Mathematik verschlechter |
Fairlie & London 2012 | USA (Kalifornien) | 25-jährige Studenten | randomisierte kontrollierte Studie: geringgradig bessere Leistungen durch Computer in mancher Hinsicht; Effekte klein |
Fairlie & Robinson 2013 | USA (Kalifornien) | 1123 Schüler der Klassen 6-10, randomisierte experimentelle Studie | Kein Effekt |
Belo et al. 2010 | Portugal | 900 Schulen | Verschlechterung der Schulleistungen in Klasse 9; Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich |
Fuchs & Wössmann 2004 | Deutschland | 250.000 15 Jährige | Computer zuhause verschlechtert die Schulleistungen |
Shapley et al. 2009 | USA; Texas | 10.828 Schüler (Laptop);2748 Schüler (kein Laptop) | Keine Unterschiede, Laptop-Klassen tendenziell schlechter bei Rechtschreibung, gute Schüler in Laptop-Klassen tendenziell besser in Mathematik |
Scharnagl et al. 2014 | Deutschland | 469 (Mathe-Soft-ware-Nutzer), 395 (ohne) Schüler der 6. Klasse | Bessere Leistungen in Mathematik bei den Nutzern der Software; Effekt vor allem bei den für Mathematik begabten Schülern; kein Effekt bei den schwachen Schülern |
Spiel & Popper 2003 | Österreich | 490 Schüler; 20 Notebook-Klassen, 5 Vergleichsklassen; Klassenstufe 4 bis 7 | Keine Unterschiede |
OECD 2015 | 34 OECD Länder & 30 assoziierte Länder | 15 Jährige (einige hunderttausend Schüler) | Daten aus 10 Jahren: Kein Zusammenhang zwischen den Investitionen in Digitalisierung der Schulen (pro Schüler) und den gemessenen Leistungen |
Schaumburg et al 2007 | Deutschland; „1000x1000 Notebooks“ | 901 (mit Notebook) bzw. 438 (ohne) Schüler der Klassen 7 bis 9 | Kein Beleg für bessere Leistungen durch Notebooks. Schüler in Notebook Klassen tendenziell unaufmerksamer; keine Unterschiede im Informationskompetenz-Test |
Gottwald & Vallendor 2010 | Deutschland; „Hamburger Netbook Projekt“ | 510 Schüler der Jahrgangsstufen 6 bis 12 | Kein Beleg für bessere Leistungen durch Notebooks; keine Verbesserung im Umgang mit Computer und Internet |
Aber das ist ein eigenes Thema und wird fortgesetzt…
Von Norbert Petrie, unserem Konrektor für Nachhilfe in Köln.
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