Schulangst: Wenn Kinder und Jugendliche Angst vor der Schule haben
Veröffentlicht am 23.04.2020
Kribbeln im Bauch, Kopfweh und Übelkeit oder gar aggressive verbale und körperliche Ausbrüche gegen Eltern und Familienmitglieder. Das Kind hat Angst vor Schule und wehrt sich dagegen, in die Schule gehen zu müssen.
Schulangst hat nicht nur viele Gesichter, die Ursachen von Schulangst sind auch vielfältig. Oftmals sind Eltern ratlos und unsicher, wie sie helfen und unterstützen können, die Schulangst zu überwinden.
Was ist Schulangst?
Eine kleine Sachkunde über die Begriffe Schulschwänzen sowie Schulverweigerung, Schulangst und Schulphobie.
Um den Begriff Schulangst richtig umschreiben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen zu können, ist es wichtig, Schulangst von anderen Begriffen abzugrenzen. Man unterscheidet im Allgemeinen zwei unterschiedliche Ursachenkomplexe, welche zur Schulvermeidung beziehungsweise zum Fernbleiben vom Unterricht führen können:
- Schulverweigerung
- Schulschwänzen
Abb. 1: «Schulvermeidendes Verhalten» (Andre Wiesener © die hauslehrer® GmbH & Co. KG)
Schulschwänzen
Der Schulalltag wird als mühsam und lästig angesehen und andere Tätigkeiten (shoppen, Computer, Freunde etc.) werden während der Schulzeit vorgezogen. Beim Schulschwänzen steht der Spaß und die Lust für die Kinder und Jugendlichen im Vordergrund und nicht die Pflicht, in den Unterricht zu gehen. Schulschwänzer*innen haben keine körperlichen Beschwerden und meist liegt auch keine emotionale Störung, sondern eine Störung des Sozialverhaltens vor. (ICD-10 Klassifikation*: F91… Störung des Sozialverhaltens)
Schulverweigerung
Von Kindern und Jugendlichen ausgehender Widerstand, die Schule zu besuchen oder ihr Unvermögen, den Schultag beziehungsweise den normalen Schulalltag durchzustehen. Die Betreffenden gehen überhaupt nicht mehr zur Schule, gehen früher nach Hause oder bleiben einzelnen Stunden fern. Die Entstehung einer Schulverweigerung wird dabei im Allgemeinen in zwei große Bereiche unterteilt.
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Schulphobie
Kinder und Jugendlichen haben Trennungsängste. Im Vordergrund dieser emotionalen Störung steht die krankhafte Angst, sich von den Eltern und dem Zuhause zu trennen. Die Gründe sind in einer Trennungssituation begründet und stehen nicht im direkten Zusammenhang mit der Schule. (ICD-10 Klassifikation*: F93.0 emotionale Störung mit Trennungsangst)
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Schulangst
Kinder und Jugendlichen gehen aus sozialer Angst (Angst vor Blamage, vor Ausgrenzung, vor Mobbing usw.) oder Leistungsangst (Prüfungs- und Versagensangst, Angst vor eigenen Wissenslücken, Angst mit schlechten Leistungen bzw. Noten zu enttäuschen) nicht in die Schule. Die Gründe dieser Angst sind im Schulbesuch an sich begründet bzw. stehen mit diesem in direkten Zusammenhang. (ICD-10 Klassifikation*: F93.1 phobische Störung des Kindesalters F93.2 Störung mit sozialer Überempfindlichkeit F40.1 soziale Phobie F8…Teilleistungsstörungen)
„Mischformen“ können in unterschiedlicher Ausprägung natürlich auch auftreten. So können zum Beispiel Schulangst oder eine Schulphobie unterstützender Anlass sein, um die Schule zu schwänzen.
- Die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) weltweit anerkanntes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (auf Deutsch: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme).
Wie entsteht Schulangst?
Die Gründe, warum Schulangst entsteht, sind nicht einheitlich, sondern beruhen auf verschiedenen Ursachen und Hintergründen. Auslöser sind oft reale Situationen (schlechte Erfahrungen) oder mögliche Situationen (mögliche schlechte Erfahrungen), in denen sich Kinder und Jugendliche überfordert und machtlos fühlen. Folge dieser Überforderung und Machtlosigkeit ist, dass die Betroffenen sich einen „Selbstschutz“ aufbauen, um diesen (möglichen) negativen Situationen aus dem Wege zu gehen.
Damit Eltern ihren Kindern richtig helfen können, ist es wichtig zu verstehen, was Auslöser von Schulangst sein können. Die nachfolgende Auflistung zeigt einen Auszug von Auslösern, welcher bei weitem nicht alle Gründe erfassen kann.
- Überforderung durch zu hohes Unterrichtsniveau (falsche Schulform)
- Überforderung nach Schulwechsel (z.B. Grundschule zur weiterführender Schule)
- zu hohe Erwartungshaltung des familiären Umkreises (Eltern, Geschwister, Großeltern, Onkel, Tante, …) und die Angst davor, zu enttäuschen
- Angst vor Liebesverlust bei Schlechtleistungen
- Überforderung durch zu wenig Raum für individuelle Interessen (z.B. kaum Zeit für eigene Freizeit wegen Schule, Hausaufgaben, häuslichen Pflichten, „vorgegebenen“ Hobbys)
- Thema „Schule“ nimmt größten Raum in der familiären Kommunikation ein
- Disharmonie zwischen Aufwand für Schule/ Lernen und den erreichten Noten
- Angst vor schlechten Noten und dem daraus resultierenden Verlust des eigenen Ansehens bei anderen
- Konkurrenz im Klassenumfeld
- Auslachen bei Fehlleistungen durch Lehrkräfte und Klassenumfeld
- Hänseleien, verbale und körperliche Attacken im Klassenumfeld und Schulumfeld
- Negative (auch positive) Bewertung durch Lehrkräfte, mit resultierender Ablehnung („Versager“ oder „Streber“) durch das Klassenumfeld
- Herabsetzende Bewertungen durch Lehrkräfte mit resultierender Verletzung des Selbstwertgefühls
- Leistungsdruck aufgrund gefährdeter Versetzung
- unerkannte schulische Teilleistungsstörungen* (z.B. Legasthenie, Dyskalkulie, ADS/ADHS)
- falsche/keine Förderung bei erkannten schulischen Teilleistungsstörungen* (Chancenungleichheit)
- falsche/keine Förderung bei körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen* (Chancenungleichheit)
- Zeitdruck bei Leistungsüberprüfungen und Übungen im Unterricht
Bei den Gründen muss es nicht zwangsläufig zu einer konkreten Erfahrung gekommen sein. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Betroffenen „nur“ denken/einbilden, dass so etwas passieren könnte (assoziiert z.B. mit schlechten Erfahrungen anderer oder eigenen schlechten Erfahrungen in ähnlichen Situationen)
- Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Rechnen, Lesen und Rechtschreiben oder Schülerinnen und Schüler mit körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen haben einen Anspruch auf Chancengleichheit in ihrer schulischen Entwicklung. Durch die Gewährung eines Nachteilsausgleichs, eines „Notenschutzes“ oder individueller Fördermaßnamen kann die Chancengleichheit in einer gewissen Form hergestellt werden.
Die Ursachen der Schulangst lassen sich in unterschiedliche Urbilder (Ängste) unterteilen:
Abb. 2: «Ursachen von Schulängsten» (Andre Wiesener © die hauslehrer® GmbH & Co. KG)
- Angst vor dem eigenen Versagen
Es werden zu hohe Erwartungen an das Kind gestellt. Erwachsene (oder das Kind selbst) überschätzen das (eigene) Leistungsvermögen. Beispiel: Ein Kind soll trotz Halbjahreszeugnis Note 5 am Ende des Schuljahres auf Note 2 steigern.
- Angst vor Stigmatisierung
Körperliche Auffälligkeiten, Begabungsdefizite, Eigenarten, Aussehen, … also Merkmale, an denen der Betroffene selbst nichts ändern kann, führen zu psychischen Verletzungen. Beispiel: Ein stotterndes Kind wird von anderen Kindern ausgelacht und aus der Klassengruppe ausgeschlossen.
- Angst vor räumlicher und emotionaler Trennung (Geborgenheitsverlust)
Betroffene ohne hinreichende und altersgerechte emotionale Selbständigkeit (häusliche Abkapselung), können sich von den Primärbezugspersonen nicht ausreichend lösen. Beispiel: Ein Kind ohne Kindergartenerfahrung, ohne Freundeskreis ist in der 1. Klasse erstmals „ohne“ Mama und Papa.
- Angst vor Strafen und Sanktionen
Die Angst vor Strafen und Sanktionen ist eine temporäre und situationsbezogene Angst. Sind Strafen und Sanktionen immer an gleiche Situation gebunden und kommen in gleichen Zeitabständen immer wieder vor, kann daraus eine Schulangst entstehen. Beispiel: Ein Kind hat Angst davor, Hausaufgaben vorzuzeigen, weil diese immer als unzureichend erachtet werden und komplett noch einmal gemacht werden müssen.
- Angst vor Personen
Betroffene erfahren eine Bedrohung ihres Selbstverständnisses durch Personen, die in der Schule oder im Umfeld der Schule anzutreffen sind. Dazu gehören neben den Lehrkräften auch Mitschüler und Mitschülerinnen, der Hausmeister oder Personen auf dem Schulweg. Beispiel: Ein Kind hat Angst davor, in der Schule von einer Lehrkraft oder der Klasse als dumm bezeichnet zu werden.
- Angst vor dem Lernort Schule
Betroffene empfinden die Schule als Gebäude und Schule als Institution bedrohlich. Sie sehen sich als Individuum nicht wahrgenommen und empfinden dieses als Mangel an Geborgenheit, Überschaubarkeit und Möglichkeit der persönlichen Entfaltung. Beispiel: Der Betroffene empfindet Schulregeln als Gängelei und allgemeine Normen wie das Ruhigsein oder Stillsitzen als unangenehm.
- Angst vor möglichen Gefahren
Allgemeine Gefahren (Ärger mit anderen Personen, Unfallmöglichkeiten etc.) werden irrational als Ängste auf das unmittelbare Umfeld Schule übertragen. Beispiel: Der Betroffene assoziiert die Möglichkeit, sich zu verletzen im Besonderen mit der Schultreppe.
Wie kann man erkennen kann, ob Kinder und Jugendliche Angst vor der Schule haben?
Allgemeines zur Schulangst
Nicht jedes Kind, welches mal keine Lust auf Schule und Hausaufgaben hat und nicht jeder Jugendliche, der mal eine Stunde schwänzt, hat Schulangst. Eltern sollten jedoch aufmerksam werden, wenn sich ihr Kind generell dem Thema Schule zu entziehen versucht.
Erhärtet sich der Verdacht, sollten Eltern eine tiefergehende haus- und fachärztliche (psychiatrische) Beurteilung in Erwägung ziehen.
Mögliche Anzeichen einer Schulangst
Körperliche Anzeichen |
Emotionale Anzeichen |
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Was Eltern tun können?
Schulangst ist eine Angststörung, die in Zusammenhang mit „Schule“ entsteht und von der man sich im Kontext „Schule“ wieder lösen muss.
Ist eine ärztliche Behandlung notwendig geworden, ist entsprechend der ärztlichen Ursachenbeurteilung ein gezieltes Zusammenwirken von Eltern, Lehrkräften, Betroffenen, kinder- /jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Arztpraxen, sozial- und schulpsychologischen Diensten notwendig, um eine wirksame Hilfe bzw. Therapie anbieten zu können.
Das familiäre Umfeld, besonders die Eltern, kann Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, angehende Schulängste zu überwinden und bereits im Vorfeld einer vielleicht notwendigen therapeutischeren Behandlung eine Stütze sein.
- Dem Kind helfen, Angstsituationen zu versachlichen und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Keinesfalls die Situation dramatisieren.
- Verständnis zeigen und beschriebene Ängste ernst nehmen.
- Probleme weder klein noch groß reden.
- Im engsten Familienkreis offen über Schulangst sprechen.
- Das Kind ermutigen, eigene Wege aus der Schulangst zu finden.
- Ehrlich!!! loben und richtig!!! motivieren. [link to: https://www.hauslehrer.de/blog/wie-man-kinder-richtig-motiviert/]
- Eigene (Leistungs-) Ansprüche überprüfen und gegebenenfalls korrigieren.
- (Leistungs-) Ansprüche des Kindes überprüfen und gegebenenfalls dabei unterstützen, dass das Kind seine eigenen Ansprüche korrigiert.
- Gefühl von Liebe und Geborgenheit vermitteln.
- Hobbys und Freizeitaktivitäten unterstützen.
- Erste Gespräche mit den Lehrkräften und ggf. dem sozial- und schulpsychologischen Dienst in der Schule suchen.
Oftmals bieten auch das Jugendamt oder qualifizierte Nachhilfeinstitute eine entsprechende Unterstützung an.
Was kann man selbst tun
Alle am Hilfeprozess beteiligen Personen sollten versuchen, ihren Sprachgebrauch etwas anzupassen, um keine neuen Ängste zu schüren bzw. nichts ins Lächerliche zu ziehen. Daher sollten Aussagen vermieden werden wie:
- Du musst doch keine Angst haben!
- Das ist doch nicht so schlimm!
- Stell dich nicht so an!
- Das ist doch eigentlich ein Klacks für dich (für jeden)!
- Andere müssen da auch durch!
- Schau dir deinen Bruder an, der … !
- Dass bildest du dir nur ein!
- Ich musste früher … !
Nutzen Sie unser kostenloses Beratungsgespräch!
André Wiesener ist unser Konrektor für Nachhilfe in Koblenz & Umgebung.
Quellen:
- Benjamin Schulz und Pia Anna Weber (2006). Das große NEIN zur Schule – Schulangst und Schulphobie Erscheinungsformen, Verlauf, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. (Examensarbeit). Duisburg
- Petermann, U. & Suhr-Dachs, L. (2013). Soziale Phobie. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (7., überarb. u. erw. Aufl.) (S. 369 – 386). Göttingen: Hogre
- Martin Knollmann, Susanne Knoll, Volker Reissner, Jana Metzelaars, Johannes Hebebrand (2010). Schulvermeidendes Verhalten aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht Erscheinungsbild, Entstehungsbedingungen, Verlauf und Therapie. Deutsches Ärzteblatt Jg. 107, Heft 4, 29.01.2010
- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification Version 2020 mit Aktualisierung vom 01.11.2019. Abgerufen 01.02.2020. https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/