Computerspielsucht oder „Internet Gaming Disorder“
Veröffentlicht am 25.06.2016
Computer und Internet haben längst Einzug gehalten in die Kinderzimmer. An dieser Entwicklung ist grundsätzlich auch nichts auszusetzen. Die entscheidende Frage aber ist, in welchem Maße die neuen Medien von Kindern und Jugendlichen genutzt werden und inwieweit sie deren Entwicklung – auch negativ – beeinflussen. Überschreitet der tägliche Konsum eine kritische Grenze, so zeigen sich regelmäßig Verhaltensstörungen. Soziale Kontakte in der realen Welt reduzieren sich erheblich oder finden außerhalb der Schule schließlich gar nicht mehr statt, sodass eine soziale Isolation entsteht.
Die Häufung von Symptomen wie Schlafstörungen, erhöhte Reizbarkeit und Unruhe oder sogar Schweißausbrüche erfüllen die Kriterien, denen zufolge man von einer Sucht spricht. Insbesondere gilt dies, wenn bei einer Reduktion der Konsummöglichkeiten echte Entzugserscheinungen auftreten. Angesichts der Häufigkeit dieser Erscheinungen erwägt die Weltgesundheitsbehörde derzeit, Computerspielsucht unter dem Namen „Internet Gaming Disorder“ als neue Krankheit zu klassifizieren.
Gefährdet sind hier Menschen jeden Alters, die ohnedies eher introvertiert oder depressiv veranlagt sind. Da wird der Computer oder die Gaming-Console schnell zu einer Möglichkeit, vor der Realität zu fliehen und sich im Netz eine selbst konstruierte eigene Identität zu erschaffen. Unabhängig von den Anforderungen der Schule oder der Arbeitswelt erleben die Vielspieler hier mit der Zeit Erfolge, die sie in den Spielerranglisten nach oben bringen und die Attraktivität der virtuellen Welt – und damit natürlich auch den Konsum weiter steigern. So gewinnen die „Erfolge“ in der virtuellen Welt auf Kosten derer im realen Leben immer mehr an Bedeutung.
Nebst der im Netz verbrachten Zeit, die oft zur Vernachlässigung von schulischen und sozialen Aktivitäten führt, beeinträchtigt ein übermäßiger Gaming-Konsum aber auch die für das Lernen so bedeutsame Konzentrationsfähigkeit. Das liegt daran, dass in dem begrenzten „Spielraum“ sehr schnell wechselnde Bilder auf das Hirn einprasseln, die schnelle Reaktionen erfordern und ihrerseits wiederum zu schnellen Veränderungen auf dem Bildschirm führen. Das Gehirn gewöhnt sich an die schnellen Wechsel und die messbare Folge davon sind deutliche Konzentrationsschwächen, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit über eine Minute oder gar länger bei einer Sache zu halten, die sich eben nicht verändert – wie z.B. die zu lernende Grammatik oder die Vokabeln in Englisch.
In unserer Praxis als Hauslehrer haben wir damit immer häufiger zu tun. Erleben wir deutliche Symptome, die auf eine Sucht hinweisen, nutzen wir einen eigens entwickelten Fragebogen, der das Computerspielverhalten ermitteln soll. Und oft zeigt sich hier eine signifikante Korrelation zwischen häufigem Spiel und Konzentrationsschwächen. Ein erster wichtiger Schritt, der in Abstimmung mit den Eltern des Schülers stattfinden muss, ist dann die schrittweise Reduktion des Konsums.
Nicht selten müssen aber auch die Eltern erst einmal sensibilisiert werden. So erleben wir es immer wieder, dass bei unserem Erstgespräch im Wohnzimmer der Familie der Fernseher läuft und wir erst darum bitten müssen, dass dieser ausgeschaltet wird. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass die Digitalisierung mittels „intelligenter“ Sprechpuppen – sogenannten „CogniToys“ – zunehmend häufiger bereits bei Kindern im Alter von zwei bis drei Jahren Einzug ins Kinderzimmer hält, stößt man als beratender Pädagoge bei Eltern nicht selten auf Unverständnis ob der behaupteten Zusammenhänge zwischen Medienkonsum und Konzentrationshemmung. Immerhin übernehmen die sprechenden Barbies und Dinosaurier doch scheinbar einen Teil der Sprecherziehung und Sozialisation, indem sie mit den Kleinkindern interagieren und auf deren Äußerungen und Aktionen variabel reagieren. Leider können Kinder in diesem Alter noch nicht erkennen, dass es einen Unterschied macht, ob der blecherne Dino oder ein anderes Kind als Spielkamerad agiert und ihnen mitteilt, wie nett sie sind.
Werden die Eltern durch die Digitalisierung der Kinderzimmer vordergründig auch entlastet, so sind die Dauerfolgen doch kaum zu übersehen. Heute stehen bereits 5 % aller 12- bis 17-Jährigen kurz vor der Diagnose: „nicht stoffgebundene Sucht“.
Von unserem Konrektor für Düsseldorf Frank Niessing.